Aus dem Lab auf die große Bühne: Wie das ligeti zentrum immersive Musik mobil macht
3D-Audio ist gefragter denn je. Doch Live-Künstler:innen stehen immer wieder vor einem Problem: Existierende Formate der Musikproduktion gehen davon aus, dass man Kopfhörer trägt oder gar alleine in der Mitte eines Raumes steht. Im Production Lab arbeitet der Systemingenieur für Medientechnik Jonathan Hammoor (InnoLab) mit innovativen Systemen, die die sogenannte 3D-Audio-Portierung möglich machen und Musiker:innen das wohl knappste Gut verschaffen: Zeit zum Proben.
Vom Museum bis in den Konzertsaal: Immersive Kunst ist gefragt. Auch in der Musik ist 3D-Audio im Kommen. Auf Streamingplattformen belohnt die Branche Künstler:innen für ein entsprechendes Mastering mit Präsenz und Streams. Für Konsument:innen steigt das Angebot von Kopfhörern, die Kopfbewegungen erfassen und Klang im dreidimensionalen Raum imitieren. Auch Konzerthäuser und Kulturinstitutionen statten ihre Venues vermehrt mit speziellen Lautsprecheranordnungen aus.
Sound, der von allen Seiten kommt, Zuhörende umhüllen oder echte Akustik nachahmen kann, wird gerne „Immersive Sound“ oder „Spatial Audio“ genannt. Jonathan Hammoor bevorzugt den neutraleren Überbegriff „3D-Audio“, der nicht an Hersteller gebunden und weniger aufgeladen sei. Im Production Lab des ligeti zentrums arbeitet der Systemingenieur für Medientechnik an Lösungen, um das besondere Musikerlebnis möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen – und verschafft Musiker:innen das wohl knappste Gut: Zeit zum Proben.
3D-Audio in klein und groß
Aus dem zehnten Stock des ligeti zentrums bietet sich ein spektakulärer Blick auf Hamburg. Vor der Tür liegt der Harburger Binnenhafen. In der Ferne das Hamburger Panorama von Süden, das man nur selten auf Postkarten sieht. Doch die wenigsten Besucher:innen betreten das Production Lab wegen der Aussicht. Das flexible Atelier wird gleichermaßen von Ingenieur:innen und Künstler:innen genutzt. Unter der Decke hängen Traversen, an denen neben Scheinwerfern immer wieder auch Roboterarme befestigt werden. Auffällig sind die vielen Lautsprecher, die auf mehreren Ebenen im Raum verteilt sind. Vom Mischpult aus kann Jonathan Hammoor diese bespielen.
Das zentrale Problem von 3D-Audio ist, dass die existierenden Formate in der Musikproduktion – ganz populär zum Beispiel Dolby Atmos – davon ausgehen, dass man entweder Kopfhörer trägt oder alleine in der Mitte eines Raumes sitzt und von vielen Lautsprechern umgeben ist
Betrachtet man die heutige Technik, so präsentiert Klang im dreidimensionalen Raum in der Theorie schier unendlich viele Möglichkeiten. Die Herausforderungen sind vor allem praktischer Natur. „Das zentrale Problem von 3D-Audio ist, dass die existierenden Formate in der Musikproduktion – ganz populär zum Beispiel Dolby Atmos – davon ausgehen, dass man entweder Kopfhörer trägt oder alleine in der Mitte eines Raumes sitzt und von vielen Lautsprechern umgeben ist.“ Die drohende Unverhältnismäßigkeit liegt auf der Hand: Ein Konzert für nur eine Person lohnt sich nicht – vom Kostenfaktor der benötigten Technik ganz zu schweigen. Im Production Lab erörtert Jonathan Hammoor deshalb die Skalierbarkeit von 3D-Audio: „Wie können wir erreichen, dass nicht nur eine Person in der Mitte des Raums den Sound schön erleben kann, sondern etwa auch 500 Besucher:innen im Kleinen Saal der Hamburger Elbphilharmonie oder 10.000 Menschen auf einem Festivalgelände?“
Statt der perfekten kugelförmigen Anordnung biete die Lautsprecheranordnung im Production Lab einen Kompromiss, der sich näher an realen Konzerträumen mit leichter Frontalausrichtung orientiere. „Nicht jede 3D-Audio-Umgebung ist ein dome. Manchmal werden 50 Lautsprecher im Rechteck angeordnet, dann vielleicht nur acht im Kreis. Unser Ziel ist, dass das Klangerlebnis möglichst gleichbleibt, wenn man von einem Setup ins andere wechselt.“ Die hohe Flexibilität des Labs liegt nicht zuletzt an der vorhandenen Software: Die drei gängigen Klangformate – kanal-, objekt- und soundfieldbasiert – lassen sich im Production Lab allesamt umsetzen.
Proben vor der Generalprobe
Viel kann schiefgehen, wenn 3D-Audio-Performances für ein großes Publikum arrangiert werden sollen – vor allem dann, wenn Musiker:innen ihr Setup zuvor lediglich in der Theorie, im Tonstudio und über Kopfhörer testen konnten. Doch genau dieses Szenario ist oft real, denn die Kalender vieler Konzerthäuser sind prall gefüllt. „Viele Musiker:innen hören ihre Kompositionen mit sehr wenig Vorlaufzeit erst auf der Bühne in groß“, wirft Jonathan Hammoor ein. Zeit bliebe vor dem Auftritt bloß noch für das Feintuning.
Wir haben einen einmaligen Experimentier- und Proberaum – ein Konzerthaus-Setup in klein, in dem sich 3D-Audio-Content erproben und dann in beliebige Venues transferieren lässt
Im Production Lab bietet er Musiker:innen einen Ausweg aus diesem Dilemma. „Audio-Portierung“ lautet der Schlüsselbegriff, ein Verfahren, das Aufführungen in verschiedene Räume übertragbar macht. „Wir haben einen einmaligen Experimentier- und Proberaum – ein Konzerthaus-Setup in klein, in dem sich 3D-Audio-Content erproben und dann in beliebige Venues transferieren lässt.“
Die erste große Portierung fand am 18. Mai 2025 statt, als das Decoder Ensemble „Future Recognition“ mit 3D-Audio im Kleinen Saal der Elbphilharmonie aufführte. Rund vier Monate vorher trafen sich die Beteiligten erstmals im ligeti zentrum. Eine Woche vor dem Auftritt probte das Ensemble in Harburg. Durch die gute technische Vorbereitung waren im Kleinen Saal sogar noch kleine Anpassungen möglich. Jonathan Hammoor zeigt sich zufrieden: „Oft geht es um Größenverhältnisse, die man noch einmal nachtuned. Ohne die Vorbereitung wäre innerhalb der zwei Stunden, die Musiker:innen üblicherweise vor dem Konzertbeginn haben, unmöglich gewesen.“
Derweil denkt er das Konzept von 3D-Audio längst weiter. Mit Kolleg:innen diskutiert er Fragen der Psychoakustik und erwägt neue Interfaces, über die Musiker:innen selbst die klangliche Verteilung im Raum steuern könnten. „Im ligeti zentrum greifen viele Ideen ineinander und bauen aufeinander auf. Das beschleunigt nicht nur die Ausarbeitung, sondern macht die Zusammenarbeit extrem bereichernd.“